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Holocaust Gedenktag 2018 - Halina Birenbaum im Interview

Halina Birenbaum, Überlebende des Holocausts, besuchte am Montag, den 22. Januar 2018 das ASGSG. Vor einer voll besetzen Aula berichtet sie von ihrer Kindheit und Jugend, die sie im Konzentrationslager Auschwitz verbringen musste. Mit leiser Stimme gelingt es ihr, den Schülerinnen und Schülern ein Bild zu vermitteln, dass in Zeiten unmenschlichen Grauens Menschlichkeit zu finden ist, sei es in Gestalt der liebevollen Sorge ihrer Schwägerin oder in den kleinen Gesten anderer Gefangener. Auch der Zufall, auch einfach nur Glück gehabt zu haben, lässt sie überleben.

Die Einblicke und Erfahrungen, die sie im Alter von 10 -15 Jahren zunächst im im Warschauer Ghetto und dann ab 1943 in Auschwitz gewann, ließen sie erkennen: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, das ihr Lebensmotto und zugleich Titel ihres bekanntesten Buches wurde, das mittlerweile in 10 Sprachen übersetzt wurde.

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Henning Axen und Felix Prinzel, beide Schüler der Klasse 9C, haben die Gelegenheit erhalten, Halina Birenbaum zu interviewen.

Henning: Frau Birenbaum: Wie gehen Ihre Freunde und Ihre Familie mit Ihrer Geschichte, Ihren Erlebnissen in Auschwitz um?

Halina Birenbaum: Ich erzähle meinen Kindern und den Jugendlichen in der Schule sehr viel zu meiner Geschichte und was in Auschwitz alles passiert ist. Diese stellen meist auch viele Fragen zu dem Thema.

Felix: Sie haben noch die eintätowierte Lagernummer „ 48693“ an Ihrem Unterarm. Ist es nicht schwierig für Sie, durch Ihre Tätowierung jeden Tag daran erinnert zu werden? Haben Sie mal daran gedacht, dieses Tattoo zu überdecken?

Halina Birenbaum: Ich habe eigentlich kein Problem damit. Als ich damals befreit wurde und Leute die Nummer gesehen haben, kamen immer zwei Fragen auf: wie hat sie das überlebt? Wieviel Geld hat sie dafür später bekommen? Die muss jetzt bestimmt reich sein. Das war mir sehr unangenehm. Ich habe mir damals gewünscht, dass immer Winter sei, damit ich immer etwas Langärmeliges tragen kann.

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Henning: Waren Sie auch nach der NS-Zeit noch mal in Auschwitz?

Halina Birenbaum: Ja, ich war dort schon sehr oft seit dem Erscheinen meines Buches „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ im Jahr 1967. Ich habe Auschwitz schon mit vielen israelischen, deutschen und polnischen Jugendlichen zusammen besucht und ihnen dort meine Baracke Nr. 27 gezeigt und über die erlebten Grausamkeiten und Überlebenshoffnungen erzählt.

Am 27.1.2015 war ich als Ehrengast und Rednerin zur großen internationalen Gedenkfeier zur 70- jährigen Befreiung von Auschwitz eingeladen.

Felix: Haben Sie noch Erinnerungstücke aus dieser Zeit in Auschwitz?

Halina Birenbaum: Nein, ich besitze kein einziges Erinnerungsstücke aus dieser Zeit. Ich habe kein Foto von meinem Vater oder meinem Bruder Hilek, die beide ermordet wurde. Von meiner durch Gas getöteten Mutter habe ich später durch eine Bekannte ein Bild aus Argentinien zugeschickt bekommen. Darüber habe ich mich sehr gefreut. So kann ich meinen Kindern wenigstens ein Bild zeigen, das ich deshalb auch besonders gut aufbewahre.

Henning: Haben Sie noch Bekannte, die damals auch überlebt haben ?

Halina Birenbaum: Nein, leider nicht. Sie sind alle schon gestorben, denn sie waren ja meist älter als ich. Ich habe ja Auschwitz nur überlebt, weil ich gesagt habe, dass ich 17 Jahre alt bin, denn Kinder hatten keine Überlebenschance. Ich war also illegal in Auschwitz ohne Geburtsausweis.

Felix: Gibt es eine Gedenkstätte oder einen Ort, wo Sie um Ihre verstorbenen Angehörigen trauern können?

Halina Birenbaum: Nein, ich habe nichts dergleichen. Gar keine Stelle. Vor zwei Monaten ist mein Mann verstorben und jetzt habe ich zum ersten Mal ein Grab, welches ich besuchen kann, das ich mit Blumen schmücken kann und wo ich trauern kann.

Henning: Wie ist es für Sie, darüber zu reden, was damals passiert ist?

Halina Birenbaum: Es ist komisch. Immer wenn ich erzähle, seh` ich wieder alles vor meinen Augen. Ich bin nochmal da, wo alles passiert ist. Wenn ich erzähle, erzähle ich immer das, was gerade vor meinen Augen ist. Kein Vortrag ist gleich.

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Begleitet wird Halina Birenbaum von Christel Schrieverhoff, die Mitglied des Lehrerkollegiums des ASGSG ist.

Felix: Frau Schrieverhoff, wie sind Sie in Kontakt zu Halina Birenbaum gekommen?

Christel Schrieverhoff: Wir waren mehrfach ab 1993-2001 mit Schülerinnen und Schülern des ASG und GSG im Rahmen eines Austausches an einem israelischen Gymnasium in Herzlia, der israelischen Partnerstadt von Marl. Halina Birenbaum lud uns damals alle zu sich nachhause ein, um ihre Geschichte zu erzählen. Daraus entstand eine tiefe Freundschaft. Uns beiden ist wichtig, die Erinnerung an das unvorstellbare Geschehen bei Jugendlichen wachzuhalten, denn sich erinnern ist wichtig für das Verständnis der Gegenwart und für ein verantwortliches Handeln in der Zukunft, um so gegen das Vergessen zu kämpfen. Dazu kann Halina durch ihre besondere Erzählweise beitragen und den „Opfern ein Gesicht zu geben“. Ihre Erzählweise geht „unter die Haut“, klagt aber nie an, da sie an das Gute im Menschen glaubt.

Henning und Felix: Vielen Dank für das Interview.

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