Albert - Das Online-Magazin
Gedichte von Halina Birenbaum
Gedenken
Gedenken – ist Leben
meiner umgebrachten Verwandten.
Damals ist Ewigkeit,
ihr Leiden – ihr Tod sind mein Prisma
durch das ich sehe und alles bremse,
das ist nicht nur gestern,
das ist morgen und heute,
Schmerz, Hass dem Übel
und echte Liebe!
1991
Das Mädchen von Shoa
Ich sehe mich immer noch als jenes kleine Mädchen.
Ich spüre es in mir unaufhörlich,
auch an der Schwelle des Alters.
Ich erinnere mich nur an es.
Ich identifiziere mich mit ihm.
Alles andere rückt fern von mir in die Vergessenheit
übergroß in mir ist das ewige Mädchen aus den Holocaustjahren.
Es will nicht verschwinden in den Schatten der Jahre und vielen Ereignisse.
Es läuft mir nach in der Spur all meiner Wege.
Es erlaubt mir nicht erwachsen zu werden.
Immer wieder steht es neu auf aus der riesigen Vergangenheit
und bestimmt mich–es führt mich.
Ich kann mich nicht befreien von ihm und es begleitet mich ständig.
Ich schreibe wegen ihm.
Durch es gibt es kein Ende meiner Erzählungen – es gibt kein Ende,
es wird nie verschwinden,
nie sterben,
das kleine übergroße Mädchen,
die Greisin aus den Holocaustjahren.
1985
Die Nummer an meinem Arm
Ich wollte etwas schreiben über die Nummer,
die eingegraben ist in meinen Arm,
– mein Personalausweis aus Auschwitz.
Sie ist in meinem Fleisch.
Immer mit mir und so ist es schon seit Jahren.
Sie ist nicht verblasst, nicht fahl geworden,
keine Ziffer davon verschwand.
Stört sie mich? Nein, mich nicht.
Ich bin schon so an sie gewöhnt als ob ich sie seit meiner Geburt gehabt hätte.
Aber manchmal, wenn sie auffällt,
wenn ich unter Fremden bin,
und sie gesehen wird,
verscheucht sie.
Ich bin nicht gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Prüfende Blicke zu spüren, neugierige rätselnde,
brandmarkende,
in solchen Augenblicken peinlicher Fragen voller Mitleid
(Oder noch schlimmer, interessierter Fragen ...
wie hoch die von den Deutschen bezahlte Entschädigung ist)
Will ich, dass immer Winter herrsche, weil
dann alles bedeckt ist ... von langen Ärmeln.
1983