Geschichte des ASGSG

(Aus der Rede von Schulleiter Klaus Jürgen Koch anlässlich der Feier zur Schulneugründung und zur Einweihung des Neubaus am 15.07.2011)

Seit dem 1. August 2010  existieren das Albert-Schweitzer- und das Geschwister-Scholl-Gymnasium nicht mehr als zwei selbstständige Schulen, sondern sind aufgegangen in der Neugründung des Albert-Schweitzer-/Geschwister-Scholl-Gymnasiums, das nun in wenigen Tagen mit Stolz auf das erste Schuljahr zurückblicken kann und deshalb einen zweiten Grund hat zu feiern.

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Am 1. April 1938 ging in Marl die Genehmigung zur Umwandlung der seit 1924 bestehenden Rektoratsschule in eine Deutsche Oberschule für Jungen ein. Ausdrücklich beinhaltete die Genehmigung auch die Koedukation, d. h. den Unterricht von Jungen  u n d Mädchen. 2 Jahre zuvor hatte Marl die Stadtrechte erhalten, 1 Jahr zuvor war in der Heide der Gemarkung Drewer mit dem Bau der Chemischen Werke Hüls begonnen worden. Der Zuzug hochqualifizierter Arbeitskräfte mit entsprechenden Bildungsansprüchen, aber auch das wachsende Selbstbewusstsein der aufblühenden Bergbaustadt Marl-Hüls mit 33.000 Einwohnern, die mit der Chemie ein zweites Standbein erhielt, bestärkte die Politik, auch gegen die Widerstände der Nachbarstädte sich eine eigene Oberschule zuzulegen. Dass die Blüte der Stadt Marl zu einem Teil durch die anlaufende Produktion für den im Jahr darauf ausbrechenden Krieg bedingt war, wirft einen Schatten auf den Beginn der höheren Schule. 1943 machten die ersten beiden Schüler, unter ihnen der spätere ASG-Kollege Hans Georg Michels, das Abitur.  

Am 14. Mai 1947 beantragt der Rat der Stadt Marl die Errichtung einer 8-klassigen Oberschule für Mädchen und damit die Selbstständigkeit der an der Oberschule für Jungen eingerichteten Mädchenklassen. Diesem Antrag gibt der Oberpräsident am 3. März 1948 statt. Schulleiterin wird Frau Simon, die bis zur Bestellung des neuen Schulleiters der Jungenoberschule, Dr. Schümer, im September beide Schulen in Personalunion leitet.

Hintergrund für diese weitsichtige Entscheidung war unter anderem der rasante Anstieg des Mädchenanteils an der Schülerzahl, der die 40% -Marke erreichte, und schließlich die Absicht der Politik, die Klassenzahlen an den Oberschulen drastisch zu reduzieren, was zur Entlassung bereits aufgenommener und zur Abweisung neuer Schüler führen musste. Die Gründung der Mädchenoberschule war vor diesem Hintergrund ein geschickter Schachzug der Stadt, auch wenn dies das Ende der Koedukation bedeutete.  Sichtbar wurde die Selbstständigkeit der beiden Schulen erst, als – nach der Grundsteinlegung am 24. Januar 1956 – Ostern 1957 die Jungenschule in das neue Schulgebäude Ecke Max-Planck- und Hagenstraße einziehen konnte. Für die Mädchenschule waren die Räume im Sommer 1957 bezugsfertig.  

Mädchen und Jungen, so schildern es die Ehemaligen, waren nunmehr strikt voneinander getrennt, die Grenzen der Schulhöfe wurden in den Pausen streng bewacht. Daneben gab es aber auch für die Mädchen die Möglichkeit, an dem Unterricht des naturwissenschaftlichen Zweiges teilzunehmen, der die ursprünglich neusprachliche Ausrichtung der Jungen-Oberschule ergänzte. Legendär, so die Berichte der Ehemaligen, waren die kontrollierten Begegnungen der Geschlechter bei den Tanztees in der Pausenhalle der Mädchenschule.  

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Geht man der Frage nach, wie nun diese beiden Schulen zu ihrem Namen kamen, die ja auch den Namen des heutigen Albert-Schweitzer-/Geschwister-Scholl-Gymnasiums bilden, so stößt man auf interessante Sachverhalte, die bezeichnend sind für die geistig-politische Atmosphäre der 50er Jahre. Schon in seiner Antrittsrede im September 1948 weist der neue Direktor der Oberschule für Jungen, Dr. Schümer, auf die Bedeutung Albert-Schweitzers als möglichen Namenspatron hin. Albert Schweitzer habe „Amt und Ehren aufgegeben, um den Weg unmittelbaren Dienstes zu betreten“, womit Albert Schweitzers Tätigkeit als Missionsarzt in Lambarene gemeint ist. Und Dr. Schümer fährt fort: „Während andere die Welt in Trümmern legten, baute er in Lambarene ein Werk der Liebe auf.“ Damit brachte Dr. Schümer eine geistige Grundströmung jener Jahre mit ihrer Sehnsucht nach Frieden und Humanismus zum Ausdruck, die auch Konrad Adenauer später zusammenfasste: „Schweitzer leuchtete wie ein Licht in der Finsternis. Unsere Zeit ist erfüllt von Feindschaft und Hass. Er war das Licht der Liebe.“

So lag es nach Zustimmung des Rates der Stadt nahe, dass die Schule bei Albert Schweitzer um Zustimmung zur Namensgebung nachfragte. Zwei Jahre später kam per Brief die Einwilligung Albert Schweitzers und am 10. Juli 1950 erhielt die Jungenschule in einer Feierstunde den Namen „Albert-Schweitzer-Gymnasium“. Erst neun Jahre später, am 7. Oktober 1959, besuchte Albert Schweitzer „seine“ Schule in Marl. Der Brief und die Ansprache Albert Schweitzers sind übrigens auf unserer Homepage zu lesen bzw. zu hören.  

Schwieriger gestaltete sich die Namensgebung des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und dies wirft wiederum ein bezeichnendes Licht auf die schwierigen Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands. Schon die erste Direktorin der Mädchenschule, Frau Simon, hatte die Idee, die Schule nach den Widerstandskämpfern der Weißen Rose, den Geschwistern Scholl, zu benennen. Das Kollegium des Mädchengymnasiums sprach sich für den Vorschlag aus: „Nach unserer Meinung empfiehlt sich der vorgeschlagene Name besonders […], da die Geschwister Scholl gezeigt haben, dass die Wahrung der Menschenwürde zusammenfällt mit der ‚beharrlichen Verteidigung gerade des Alltäglichen, Kleinen und Naheliegenden’.“
In einem Brief vom 5. November 1957, in dem Frau Simon von der Familie Scholl die Zustimmung zur Namensgebung erbat, äußerte sie allerdings Zweifel, ob der Rat der Stadt zustimmen würde. Und in der Tat: eine entsprechende Nachfrage wurde von Seiten der Stadt nicht beantwortet. Zu stark waren die Kräfte, die einer kritischen Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit aus dem Weg gehen wollten: Bewältigung der Vergangenheit versprach keine sicheren Mehrheiten. Und so kam es, dass Frau Simon die Realisierung ihrer Idee nicht mehr erlebte. Sie starb 1964.  Erst ein Jahr später erhielt das Städtische Neusprachliche Mädchengymnasium den Namen der Geschwister Scholl.  

Die Jahre danach – und dies ist dann schon erlebte Geschichte für die Älteren im Kollegium und auch bei dem einen oder anderen, der sie als Schülerin oder Schüler erlebt hat – sind geprägt von enger Kooperation, ja und auch von Wettbewerb zwischen den beiden Gymnasien, bei dem mal die eine, mal die andere Schule die Nase vorn hatte. Den Nutzen hatten auf jeden Fall die Schülerinnen und Schüler: Das sogenannte "Doppelgymnasium" vereinte die Vorteile eines großen Systems mit reichhaltigem Fächerangebot mit der Intimität und Nähe der kleineren Schule, wo jeder jeden kennt.

Der Versuch am Anfang des neuen Jahrhunderts, die beiden Gymnasien zusammenzulegen, stieß daher auf erbitterten Widerstand von Eltern, Lehrern und Schülern, der sich in Kundgebungen und Demonstrationen Ausdruck verschaffte und dem damaligen kommissarischen Leiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, Herrn Coenen, einen derben Rüffel der Bezirksregierung einbrachte. Der Vorschlag einer der rechtsradikalen Ratsfraktionen, die neue Schule „General-Feldmarschall-von-Hindenburg-Gymnasium“ zu nennen, war überhaupt nicht dazu geeignet, den Widerstand zu brechen. 

Anders war die Situation, als am 26. März 2009 der Rat der Stadt Marl den Beschluss fasste, die beiden Gymnasien zum 1. August 2010 zusammenzuführen. Unabweisbare demografische Fakten, nämlich zurückgehende Schülerzahlen,  zwangen die Verantwortlichen zum Handeln. Die nachhaltige Sicherung des Schulstandorts Hagenstraße war die Aufgabe. 

Die inhaltliche und organisatorische Zusammenführung von ASG und GSG, die in dem folgenden Jahr die Kollegien beider Schulen beschäftigte und für erhebliche Mehrarbeit sorgte, wird als eine Glanzleistung in die Geschichte der Schule eingehen und findet auch überregional großes Interesse und Anerkennung.

In dem neu gegründeten Albert-Schweitzer-/ Geschwister-Scholl-Gymnasium leben die Geschichte und die Traditionen der beiden Vorgängerschulen weiter. Den Werten, die mit der Wahl der Namensgeber zum Ausdruck gebracht wurden, fühlen wir uns verpflichtet: Toleranz, Humanität, Achtung vor dem Mitmenschen und der Umwelt sowie Verantwortungsbewusstsein, Freiheitsliebe und intellektueller Mut sind Leitmotive auch der neuen Schule.

Der vollständige Text der Rede