Albert - Das Online-Magazin

Orest jagt Publikum - Die „Iphigenie“ des Jungen Theater aus Mühlheim faszinierte und irritierte

orestAm 5. Dezember versammelte sich unser Deutsch-LK der JgSt. 13, getrieben von den anstehenden Abiturprüfungen, im Marler Theater um sich eine Inszenierung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ anzusehen. Das Junge Theater an der Ruhr lockte mit einer modernen Darbietung und versprach besonders Jugendliche ansprechen zu wollen. 

Schon der erste Eindruck ließ erahnen, dass es ein unvergesslicher Theaterabend werden würde. Zu Beginn wurde auf weiße Stoffbahnen, die versetzt eine Leinwand bildeten, Lava projiziert, die nach und nach über eine Klippe ins Meer floss. Dieser Film zeigte im Verlauf des Stücks immer wieder Szenen am Strand und aus der Vergangenheit der Protagonisten. Ohne irgendeine Unterstützung von Ton oder Sprache rollte eine gelb gekleidete Frau in Rollschuhen auf die Bühne und verschwand sofort wieder. Diese Regieeinfälle ließen die Neugier und Vorfreude auf das Stück zunehmend ansteigen.  

Doch diese positiven Erwartungen wurden bei den meisten gedämpft, als sie zwei verängstigt zuckende, gefesselte und mit schrill bunten Masken unkenntlich gemachte Figuren auf die Bühne kommen sahen. Allerdings waren diese beiden Gestalten noch die unauffälligsten der Aufführung. Wir sahen einen König Thoas im Sportdress von Adidas, der mit seinem Basketball am Strand spielte; eine Iphigenie im grellgelben Kleid; einen Arkas, der durchgehend in Badelatschen herumlief, und Geister, die  - in knappes Leder gekleidet, mit Hundemasken ausgestattet  - Orest verfolgten. All dies war Bestandteil dieser modernen, mit besonders auffälliger Bildersprache arbeitenden Neuinszenierung.  

Das war leider auch die einzige Sprache, die während des gesamten Stücks zu „hören“ war, da die Figuren ansonsten so leise ihren Text murmelten, dass das Publikum mit rasender Geschwindigkeit seine Konzentration verlor. Dies zeigte sich darin, dass alle paar Minuten sowohl die älteren Zuschauer als auch Schüler und sogar Lehrer den Raum verließen. Selbst die spätere Einbindung des Publikums, das der unsicheren Iphigenie bei ihren Entscheidungen helfen sollte, wirkte dann nur noch wie ein kläglicher Versuch, die Anwesenden wieder an das Stück heranzuführen.  

Doch reichten die stark übertriebenen Kostüme und Requisiten aus, um Goethes Drama und besonders den Konflikt um die Menschlichkeit, auch ohne den Text, verstehen zu können. So erkannte man leicht an Pylades, der mit einer riesigen Ghostbusterskanone hereinkam, seinen kämpferischen Charakter. Auch war man sich der Bedrohung durch Thoas  wegen seines immer wieder eingeworfenen Gebrülls nach „Blut“, „Opfer“ zu jeder Zeit bewusst.

Zusätzlich bewies der Regisseur durch innovative Ideen, was die Körpersprache der Schauspieler, die Einbindung des Publikums und die größtmögliche Raumnutzung des Theaters anging, wie viele Gedanken er sich bezüglich der schwierigen Thematik des Dramas gemacht hatte. Neu war, dass nicht nur die Bühne, sondern auch der Zuschauerraum und hörbar der Eingangsbereich des Theaters genutzt wurden. So erschreckte der verrückt schreiende Orest die sich heimlich aus der Vorstellung schleichenden Zuschauer und verfolgte sie unabsichtlich.

Besonders am Ende wurde eine ganz klare Aussage zur Humanität getroffen, die – so die Aussage der Inszenierung - gerade in der heutigen Zeit versagt. Denn der große König Thoas blieb allein auf der Bühne zurück, die nach und nach von den abziehenden Griechen leer geräumt wurde. „The winner takes it all ...“  

Alles in allem scheiterte der Versuch, Goethes Drama auf eine sehr schrille Art und Weise noch einmal neu aufleben zu lassen daran, dass die Inszenierung, auch wenn es etwas anderes behauptete, nicht so sehr für Jugendliche, sondern eher für ein sehr viel aufmerksameres und ruhigeres Publikum geeignet war. Denn die vielen kunterbunten Gestalten sorgten eher für Gelächter und die Entscheidung die Figuren auf der Bühne flüstern zu lassen war eine der schlechtesten, die man hätte treffen können, wenn man das Stück vor Jugendlichen aufführen möchte.  

Mir persönlich jedoch hat diese Aufführung sehr gefallen und ich bedauere, dass man wegen den immer unruhiger werdenden Zuschauern die Neuinszenierung so wenig würdigen konnte. Die schauspielerische Leistung der Darsteller war sehr gut, die Ideen des Regisseurs haben mir neue Sichtweisen auf das Drama eröffnet und seine ganz klare Stellungnahme zur Frage der Menschlichkeit macht Goethes Stück aktuell für unsere heutige Zeit.  

Anna Besier